Montréal, März 1991: An einem verregneten Frühlingsmorgen wurde Marcelle Leclerc geboren, mitten in der Metropole Montréal. Als drittes Kind der Familie und einzige Tochter nahm sie sofort den Platz des Nesthäkchens ein, was sie trotz einem noch nach ihr geborenen Bruder nie wirklich verlor. Mit drei Brüdern aufzuwachsen war nicht immer ganz einfach, aber Marcy machte das Beste draus. Vielleicht ist die männliche Dominanz in dem Leclerc-Haushalt auch der Grund, warum die Brünette immer mehr männliche als weibliche Freunde hatte. Zumindest machte es sie zu einer selbstbewussten und taffen Frau, die sich auch sehr gut behaupten kann. In der Schule hatte sie immer recht gute Noten, war aber meist nicht motiviert, mehr als das minimum zu tun: sie fand es einfach nicht so spannend.
Meist fand man sie in ihrer Freizeit im Büro ihres Vaters, eines begabten Informatikers, der ihr viel beibrachte. Ihre Brüder hatten oft nicht die Geduld dafür, aber Marcy hatte kein Problem, sich stundenlang an einem Ort aufzuhalten und sich auf die Lektionen ihres Vaters zu konzentrieren. Es war keine Überraschung, dass die Leclerc-Tochter als Teenager ihr Taschengeld hauptsächlich für Technik ausgab. Erst als sie etwas älter wurde, fing sie auch an, sich für den Beruf ihrer Mutter zu interessieren, die in den Medien arbeitete. Für eine Weile fühlte sie sich hin und hergerissen zwischen den beiden Gebieten, bevor sie kurz vor ihrem Schulabschluss den perfekten Studiengang für sich entdeckte: Medieninformatik. Sie fing an, an der UQAM zu studieren und zog mit Freunden in eine WG, damit sie nicht jeden Tag von Hochelaga ins Stadtzentrum fahren musste - und von ihren Eltern etwas unabhängiger zu werden.
In einem Literaturkurs, den sie im Rahmes des Fächerübergreifenden Studiums besuchte, lernte sie dann Lex Tremblay kennen: der vier Jahre ältere Mann hatte gerade seinen Doktor in Literaturgeschichte gemacht und unterrichtete nun einige Seminare als wissenschaftlicher Mitarbeiter - und damit auch sie. Als sie dann die einzige war, die bei einem freiwilligen Theaterbesuch auftauchte, freundete sie sich erst mit ihrem Dozenten an, bevor eine Beziehung darum entstand: nicht weiter schlimm, denn bis auf diese eine Vorlesung würden sich ihre akademischen Wege nicht erneut kreuzen. Nach zwei Jahren Beziehung heirateten die beiden, bevor ihm eine richtige Dozentenstelle an den Nouvel Mount College in Toronto angeboten wurde. Erst zögerte das frisch verheiratete Paar noch, bevor Marcy beschloss, dass sie ihren Doktortitel auch dort machen konnte und mit etwas Glück auch einen Job an der uni finden würde. Vor wenigen Monaten kamen die beiden also nach Toronto, entschieden sich aber, ihre Beziehung mit Diskretion zu behandeln. Da ist es praktisch, dass Tremblay einer der häufigsten Familiennamen in Quebec ist und es nicht weiter auffällt, dass sie den gleichen Nachnamen tragen.